
Geht das trotz Leine? Wir sagen ja.
Das Gefühl, mit dem Hund zwischen Maisfeldern und Weinreben zu stehen, vor uns am Horizont der Pfälzer Wald und wir beide hören das leise Klicken des Karabinerhakens der Leine – ein herrlicher Moment. Carla weiß wie alle Hunde dieser Welt: Das ist der Klick zum Himmel. Dieser Klick bedeutet Freiheit, Sorglosigkeit und noch viel mehr Spaß. Und nicht nur unsere Hunde haben Spaß beim Sprint über Äcker und Wiesen, auch uns Menschen beseelt der Anblick unserer zufrieden stromernden Vierbeiner, die einfach völlig entspannt vor uns her traben, immer mal wieder einen Blick über die Schulter riskieren, um nach uns zu schauen.
Doch was passiert, wenn der eigene Hund eben nicht nur entspannt um einen herum läuft und Gräser und Wiesenblumen beschnüffelt. Sondern viel mehr auf Sicht jeden Hasen, Fasan oder jede Maus ortet? Ist es noch in Ordnung einem Hasen hinterher zu sprinten, sich dabei grenzwertig außer Sichtweite des Frauchens zu begeben, oder bei jedem Rebhuhn gefährlich weit voraus zu hüpfen? Wo hört der Spaß auf und wann wird ernsthaftes Eingreifen nötig?
Diese Fragen musste ich mir nach Carla’s erstem seriösen Jagdausflug zwischen die Reben stellen. Sie war knapp ein halbes Jahr alt, machte sich wunderbar bei allen Übungsstunden in der Hundeschule und lief bis dato vorbildlich frei durch die Gegend. Bis zu dem wunderbaren Tag, an dem sie nähere Bekanntschaft mit einem vorbeifliegenden Fasan machen wollte. Sie spazierte neben mir als der Vogel erschreckend tief an uns vorbei flog. Carla beschloss wohl, dass das der Moment war um ihr jagdliches Geschick zu testen. Ich weiß es nicht. Aber was ich weiß ist, dass ich nie mehr so große Angst hatte, meine junge Hündin zu verlieren. Dass sie schnell ist, das wusste ich. Doch bis zu diesem Tag hatte ich ja keine Vorstellung wie schnell sie tatsächlich sein konnte. Doch am schockierendsten war, wie schnell sie von null auf hundert umschalten konnte. Eben war sie noch getrottet, fast flaniert. Dann gab es plötzlich nur noch eins: Diesen Falken! Sie düste los. In Sekundenschnelle sah ich sie auch schon nicht mehr. Mir war klar, darauf zu warten, dass sie an den Ort zurückkehren würde an dem sie los gerannt war, war zwecklos. Also rannte ich. Ich rannte so schnell ich konnte. Wahrscheinlich schneller als ich je gerannt war. Doch auch wenn ich noch kurzer Zeit ihren weißen Schwanz wieder entdeckte, fühlte ich mich nicht in der Lage sie einzuholen. Sie war so verdammt schnell. Doch was noch viel schlimmer war: Sie und dieser Falke zielten auf eine der großen Landstraßen zu. In dem Moment brach in mir die pure Panik aus. Was, wenn sie jetzt in ein Auto rast?
Um die Story abzukürzen: Wir hatten verdammt großes Glück. Obwohl der Vogel fliegend die Straße überquerte, mit einer wild gewordenen Carla unter sich auf den Wegen, passierte nichts schlimmeres. Die Landstraße war in dem Moment Gott sei Dank autofrei und der Falke entschied sich kurzerhand eine Rast auf einer hohen Silbertanne in einem angrenzenden Garten einzulegen. Carla mähte in ihrem Verfolgungswahn zwar Teile des Zaunes nieder, blieb dann aber gespannt unter dem Baum stehen und blickte gierig nach oben. Mein Moment. Ich schnappte sie mir und leinte sie sicher an. Was danach passierte weiß ich nur noch schemenhaft. In einem Gemisch aus völliger Erschöpfung und Erleichterung sackte ich am Feldrand zusammen und fing tatsächlich an zu weinen. Mal davon abgesehen, dass mein gesamter Brustkorb wie wild hämmerte, schmerzte und ich mich nach der eisernen Lunge sehnte, war mir die Gefahr, in die sich meine wilde Akita-Dame gebracht hatte, absolut bewusst.
Zusammengefasst war dies der Tag, an dem ich die Schleppleinen für uns entdeckte. Einen solchen Schock – und absoluten Angstmoment brauchte ich nicht noch einmal. Doch natürlich wollte ich Carla noch nicht für immer an die Leine legen. Also ging das Anti-Jagdtraining los. Wir durchliefen alles: Die Arbeit mit der Reizangel, Training mit Alternativverhalten und ich machte mich als Frauchen eines sehr cleveren wie sturen Akita-Mädchens natürlich regelmäßig zum völligen Kasper um sie stärker an mir, anstelle dem Wild zu interessieren.
Alles funktionierte ganz zauberhaft auf den Hundeplätzen oder aber in den Gruppenstunden im Wald. Doch ich gebe ehrlich zu: Eine Restangst blieb in mir. Denn ich sehe ja Carla’s gesteigerte Motivation und wilde Entschlossenheit wenn sich auch nur das kleinste Wesen im Gras bewegt. Ihre pure Jagdlust wenn ein Kätzchen ihren Weg kreuzt. Da ist nichts mehr mit Alternativverhalten oder Ablenkungsmanöver meinerseits. Dann denkt sie wahrscheinlich nur noch: „Das kriege ich! Wir sehen uns dann in zwei Stunden am Auto.“
Doch da ich mich für die Verantwortung, die ein solcher Hund mit sich bringt, entschieden habe, musste ich einen Weg finden Carla eine Art „sichere Freiheit“ zu ermöglichen. Also entschied ich mich, nach langem Training und einigen Versuchen Carla doch zu 100 % zu vertrauen, gegen den Freilauf und für die nahezu dauerhafte Schleppleine.
An der Stelle sei gesagt: Natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass ich nun mal einen Akita und damit einen für die Jagd gezüchteten Hund, halte. Bei ihnen ist der oft zitierte „will-to-please“ fast überhaupt nicht vorhanden und sich zu unterwerfen käme diesem Großspitz auch nie in den Sinn. Also war es nur zu erwarten, dass ich an der Bindung und den optimalen Rückruf arbeiten muss.
Doch wenn man auch nach konsequentem Training und noch mehr Geduld seiner Hündin nicht vollkommen vertrauen kann, dann ist es meines Erachtens sinnvoller ein Leben mit Grenzen zu akzeptieren. Innerhalb dieser Grenzen können wir uns dann beide völlig frei bewegen.
Denn wenn ich in all den Jahren des gemeinsamen Laufens eins gelernt habe, dann sind es Akzeptanz und Toleranz. Ich akzeptiere Carla’s natürlichen Jagdtrieb und gestehe ihr maximal 25 Meter Freiheit zu (wenn es regnet nur 10 Meter, da unsere Biothane- Leine etwas kürzer ist). Auf dieser Schleppleinenlänge darf sie herum hampeln, Mäuse jagen oder auch mal einen angedeuteten Sprint in Richtung der Krähe auf dem Acker hinlegen. Das ist immer noch genauso niedlich und schön anzusehen wie wenn sie das gleiche ohne Schleppleine machen würde. Mit dem einen großen Unterschied: Ich fühle mich sicher. Sicher, dass ich im Notfall eingreifen, oder einfach nur auf die Leine treten und sie stoppen kann. Aber auch sicher, dass sie im Zweifel nicht „die böse“ ist, die sich, von irgendeinem Reiz getrieben auf Fuchs, Fahrradfahrer oder Vogel wirft.
Insgesamt betrachtet hin ich der Überzeugung, dass mich diese Gewissheit nicht nur toleranter, sondern vor allem entspannter macht. Was ja letztendlich auch Carla zugute kommt. Denn solange ich entspannter durch die Lande streiche, kann auch sie ruhig ihrer Wege gehen und den wunderbaren Ausblick genießen.