
Wie kommt man auf den Hund?
Und dann auch noch ausgerechnet auf einen solch speziellen?
Ich muss gestehen: Durch den reinen Zufall.
Sicher hatte ich von ihnen gehört: Diesen Spezialisten, den über die Maßen treuen und absolut loyalen Hunden aus Japan. Natürlich habe auch ich bei der Hollywood-Verfilmung von „Hachiko“ bitterlich geweint und gedacht „Wahnsinn. Welch süße Bärchen.“ Doch selbst einmal einen Akita haben? Nein. Zu keiner Zeit habe ich das geplant.
Doch wie heißt es schon in so manch schlauer Lebensweisheit: „Das Leben ist das was passiert, während man andere Pläne macht.“ Oder: „Man bekommt immer den Hund, den man gerade braucht“. Ich kann sagen: Da ist durchaus etwas dran. Denn ich habe wirklich nicht nach Carla gesucht. Was uns aber offensichtlich nicht daran hinderte uns dennoch zu finden.
Nach den ersten Tagen der verliebten Verzückung über ihre allgemeine Niedlichkeit – schließlich lief da ein kleines, 18 Wochen altes, weiß-schwarzes Eisbärenkind durch unser Haus – fand ich mich allerdings ziemlich schnell in der Realität wieder. Ich ahnte, dass diese Hündin eine richtig große Herausforderung werden würde. Nicht nur, dass ihre gesamte Statur, ihr Gang und ihr Geruch mir völlig fremd waren. Nein. Vor allem ihre Kommunikation, ihre Blicke und ihre Art auf Fremde zuzugehen – eine absolut neue Welt für mich. Carla, ehemals Fumiko, war charakterlich von Grund auf ängstlich. Ihre Angst vor Autos, Männern, lauten Geräuschen jedweder Art und vielem mehr, ließen sie sich ab Tag zwei extrem an mich binden. Ich war niemals mehr allein. Überall wo ich war, war Carlinchen. Das war niedlich, konnte aber keine Dauerlösung sein. Dazu kam, dass sie bei all ihrer Unsicherheit dennoch stets ein typisches Akita-Mädchen war. Bedeutet, dass sie schon in frühester Kindheit den Drang zum territorialen Beschützen ihres Hauses und ihrer Familie verspürte.
Also rannte diese niedliche, kleine Eisbärin – seltsame Knurrgeräusche von sich gebend – bei jedem Klingeln an die Haustür und markierte dort die Starke. Kamen die „Eindringlinge“ alias Freunde und Bekannte dann dennoch herein, konnte sie es nicht fassen. Sie wich immer wieder ängstlich zurück, ohne ihr Knurren und Bellen einzustellen. Besonders Männer schienen ihr unheimlich. Was sie dazu veranlasste sich bei besagtem Herrenbesuch noch skeptischer und ambivalenter zu verhalten. Einerseits wollte sie sie anschauen und war neugierig, andererseits war ihr Unmut über die Besucher offensichtlich und unüberhörbar. Gelegentliches Zwicken in die Fersen inklusive.
So folgsam, ruhig und treu sie mit mir und ihrer direkten Familie von Anfang an war, so misstrauisch und ablehnend blieb sie gegenüber Fremden. Ich erkannte sehr schnell, dass ich besonders an der Front Unterstützung benötigte. Also begann ich zu recherchieren, befragte Hunde-Freunde und arbeitete mich durch sämtliche seriöse Akita-Literatur. Und siehe da; nach einigen Wochen waren wir drin – in unserer ersten Junghunde-Gruppe einer uns empfohlenen Hundeschule.
Doch auch hier sah ich die Unterschiede zu Labrador, Beagle, Schäferhund und Co. Denn während sich die anderen Junghunde wie Bolle auf die Stunde freuten und wie wild in Richtung Trainingsgelände zerrten, blieb Carlinchen völlig verunsichert hinter mir sitzen. Aus Sicht des Trainers war das kein Problem. „Sobald sie erst mal drin ist, wird das besser“, prophezeite er. Ich ahnte schon, dass Carla ihn Lügen strafen würde. Denn wenn ich auch sicherlich noch keine Akita-Expertin war, so hatte ich Carla doch im Gefühl und verstand. Ihr war es zu viel Trubel, viel zu viele Hunde und dann auch noch dieser Trainer. Alles ein Horror für meine Kleine.
Nach vier Besuchen in dieser Hundeschule beendete ich die Odyssee. Unsere Bilanz: Viele anerkennende Blicke, weil Carla vor lauter Fixierung auf mich sämtliche Übungen perfekt und strebsam ausführte. Aber leider noch mehr Verunsicherung und Scheu bei Carla, weil der Trainer sie mit viel zu viel Strenge und männlicher Dominanz behandelte.
Gut. Dann war das eben einfach noch nicht das richtige für uns. Zu wissen, was man nicht möchte, ist schließlich schon ein Schritt in Richtung Ziel. Doch wie sollten wir weitermachen? Eine neue Hundeschule, eine die mehr das Individuum und weniger die Rassestandarts fokussiert. Nach weiteren Schnupperbesuchen in zwei anderen Hundeschulen, war ich allerdings immer noch nicht schlauer als vorher. Außer der Erkenntnis, dass die meisten Hundetrainerinnen und Hundetrainer auch heute noch nach dem alten Schema F ausbilden und es nur schwer schaffen, ihren Blick über den eigenen Tellerrand wandern zu lassen, brauchten Carla und ich noch immer eine gemeinsame Richtung.
Aber da ich bei meinen Hunden zu den Frauchen gehöre die nicht einfach die Flinte ins Korn werfen wenn es schwierig wird, war es nur eine Frage der Zeit. Letztendlich machten sich meine Hartnäckigkeit und Recherche bezahlt und ich fand die Hundetrainerin Esther Follmann mit ihrer Hundeschule CaneAmi. Bei ihr lernten wir viel über positive Verstärkung, erwünschtes Alternativverhalten und faire Kommunikation. Auch wenn Carla niemals eine begeisterte Gruppenschülerin wurde, haben wir es mit der Zeit geschafft, sie für Aufgaben und Übungen zu öffnen, neugierig zu machen und ihr Wege aufzuzeigen, fremde Menschen oder Hunde zu akzeptieren. Die vielen Stunden in Wald und Flur mit der großen Trainingsgruppe waren unser Durchbruch, für den ich nach wie vor sehr dankbar bin. Auch wenn wir die Trainingsgelände mittlerweile dauerhaft verlassen haben.
Auch heute gibt es sie immer mal wieder: Diese Momente der Diskussion mit meiner sturen und sehr sehr wesensstarken Akita-Dame. Doch der große Unterschied zu unseren Anfangstagen ist ganz klar meine Art damit umzugehen. Jetzt kann ich handhaben und regeln, woran ich vor sechs Jahren noch verzweifelt wäre. Meine Ruhe, aber auch die Akzeptanz, dass sie eben immer tendenziell skeptisch und einzelgängerisch bleiben wird, machen es uns nun wunderbar leicht.
Und so wandeln wir auch weiterhin auf fantastisch eigensinnigen Wegen – stets gemeinsam und die jeweils andere immer im Blick.